Die besondere Leidenschaft in meinem Leben als Pferdetierarzt war immer die Orthopädie, bei der ich, je mehr ich in meiner Lehrklinik lernte, immer mehr an gewisse Grenzen stieß und ich mir sicher war, dass es noch irgendein Geheimnis geben musste, womit man „eine bestimmte Art“ von Problemen lösen kann. Heute weiß ich, dass es die Bewegungsstörungen waren, die mich oft bis zur Verzweiflung trieben. Wenn ich in der Klinik immer und immer wieder Patienten mit „solchen“ Problemen untersuchen und behandeln musste, sah ich schon beim Vortraben, dass es sich wieder um „so etwas“ handelte, was ich mit den bisher erlernten klinischen Möglichkeiten nicht würde lösen können. Aber als in einer Klinik angestellter Arzt, musste ich ja zu irgendeinem Ergebnis kommen. Man kann ja so einen Patienten nicht wieder unverrichteter Dinge nach Hause schicken! Ich thematisierte dies NICHT bei meinem Chef, sondern war kritisch mit mir und versuchte immer weiter, ohne Erfolg, im Rahmen immer fortgeschrittenerer klinischer Möglichkeiten, welche die moderne Orthopädie bot, weiterzukommen. Dies hatte zumindest den sehr großen Vorteil, dass ich dabei die modernsten und detailliertesten Fähigkeiten der Pferdeorthopädie erlernen durfte, bevor ich es überhaupt wagte, aufzugeben bzw. hier eine Grenze der Schulmedizin zu sehen.
Nach der Assistentenzeit stand ich im Jahre 1996 nun vor der Selbständigkeit und ich war in einem großen inneren Konflikt mit mir selbst, weil ich nun der Wirtschaftlichkeit meiner Praxis halber gewisse Diagnosen und Therapien durchführen sollte, bei denen ich schon im Vorfeld wusste, dass sie nicht funktionieren würden.
Und, wie es der Zufall wieder wollte, lernte ich sogenannte „Manualtherapeuten“ kennen, von denen es in Deutschland nur ein paar Wenige gab und die von allen Schulmedizinern belächelt wurden, weil sie sich sozusagen anmaßten, zu glauben, dass sie „mit ihren Händen durch Manipulation von Gelenken an dem mächtigen Pferdekörper etwas bewegen konnten“. Ich fand das schon auch merkwürdig, aber ich ließ mich darauf ein und fand gute Diskussionspartner, die meine Phantasie und meinen Tatendrang so anregten, dass ich immer mehr davon wollte. Ich habe durch Ausprobieren viel selbst gelernt und von diesem Zeitpunkt an keine der wenigen Fortbildungen in Europa mehr versäumt, die etwas zu diesem und benachbarten Themen wie Akupunktur und Neuraltherapie anboten. Das bestätigte mir viel von dem Selbsterlernten und brachte mir viele neue Ideen und Bekanntschaften zu ganz tollen Menschen. Ja, dieses damals erlangte Wissen macht noch heute den größten Teil meiner komplementärmedizinischen Arbeit bzw. Fähigkeiten aus.
Als im Jahre 2005 Chiropraktik-Schulen aus Amerika speziell für Tierärzte und ein paar Jahre später Osteopathie-Schulen aus Frankreich ebenfalls speziell für Tierärzte in Deutschland eröffneten, war ich immer bereits in der allerersten Klasse als Teilnehmer dabei, um zu sehen, was hier gelehrt wird und natürlich, was ich davon selbst noch dazu lernen konnte. Ich bekam eine Bestätigung für meinen bisherigen Wissensstand und konnte mich durch mein Vorwissen kritisch mit den Inhalten auseinandersetzen. Die Schulen haben nichts an meinem bisherigen Weg geändert, nein, ich hörte vieles, was ich NICHT teilen konnte und bekam andererseits Anregungen, mich weiterzuentwickeln und die eine oder andere Lösung für Probleme, die ich bis dahin noch nicht gefunden hatte. Die erstaunlichste Erkenntnis, die ich aus der Etablierung dieser Schulen gewinnen konnte, war, dass es plötzlich, von einem Moment auf den anderen, für eine Vielzahl von Schulmedizinern Pflicht geworden ist, sich auf diesem Gebiet fortzubilden. Ich wunderte mich von Jahr zu Jahr, welche und vor allem wie viele Kollegen plötzlich auf den Listen der Absolventen jener Schulen standen und wie plötzlich in jeder Pferdeklinik und fast jeder Pferdepraxis auf einmal „Chiropraktik“ angeboten wurde. Ich sah mich zu jener Zeit und sehe mich heute immer noch bestätigt, dass mein damaliger innerer Konflikt berechtigt war und unter anderem meine Erfolge vor Eröffnung jener Schulen zu diesem Boom beigetragen haben müssen.